16.04.2013

Lateinamerikanisches Ende

18.3.-2.4.2013

Wir treffen uns am Busbahnhof in Viña del Mar, etwa 1,5 Stunden nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago. Wir freuen uns riesig wieder zusammen sein . Ohne Aufenthalt geht es direkt weiter nach Valparaiso, wo wir in Veit’s Geburtstag reinfeiern wollen .

Unser Hostel heißt „El Verde Limon“. Die Bauweise und Gestaltung ist super süß, verwinkelt und verschachtelt liegt das alte Haus in Valpo’s (offizielle Kurzform für Valparaiso) Herzem. Mit 18.500 Pesos (30,- Eur) für ein Doppelzimmer ist es für chilenische Verhältnisse gar nicht so wahnsinnig teuer.

2 Tage verbringen wir in Valpo, laufen deren Hügel hoch und runter, genießen das Künstlerflair der Stadt und gönnen uns ein deutsches Essen im Restaurant „Hamburg“. Das ist tatsächlich sehenswert und nicht nur bei den Seeleuten der einlaufenden Fracht- und Kreuzfahrtschiffe sehr beliebt. Der Laden ist bis in den letzten Winkel vollgestellt mit zumeist deutschen Seefahrtsreliquien, u.a. Plaketten der Werften in Rostock und Lübeck, Wimpel, Fotos, Matrosenmützen… Befremdlich wirken auf uns die Helme aus dem 1. und 2. Weltkrieg, Granaten und eine Hakenkreuzflagge des Afrikakorps. Der Umgang mit der deutschen Geschichte ist auch in Chile ein völlig anderer als in Europa und vor allem in Deutschland, sodass man nicht zwingend davon ausgehen muss, dass Neonazis dieses Lokal betreiben. Fakt ist allerdings auch, dass Chile eines der beliebtesten Ausreiseländer nach dem 2. Weltkrieg war für Nazis. Nach dem Fall der Mauer zogen sich die ostdeutschen Diktatoren / Bonzen hierher zurück (Margret Honecker lebt immer noch in diesem Land…) Wie auch immer, nach 5 Monaten Abstinenz läuft uns bei der Speisekarte das Wasser im Mund zusammen: Rouladen, Sauerkraut, Bratkartoffeln, Schwarzbrot, Rollmops, Matjeshering… Das Schwarzbrot stellt sich allerdings als Weißbrot mit geringem Mehrkornanteil heraus – die Chilenen würden richtiges Schwarzbrot nicht mögen, erklärt man uns. Der Matjes ist leicht versalzen und wird mit reichlich Zwiebel-Sahnesauce serviert, Sauerkraut und Bratkartoffeln sind lecker.

Nach solch heimischer Stärkung machen wir uns mit Stadtbussen auf den Weg nach Concon, wo wir schauen wollen, ob wir Surf bekommen. Erstaunlicherweise hat eine Touristeninfo auf, die uns ein Aparthotel mit Strandblick empfiehlt. Da das „Rio Mar“ mit 20.000 Pesos noch in unserer Preisklasse liegt, gönnen wir uns eine Nacht in diesem einfachen 1-Zimmer-Apartment mit Terrasse zum Meer. Bereits von hier sehen wir, dass die Wellen close out sind (also auf ganzer Länge gleichzeitig in sich zusammenfallen und damit nicht gut geeignet zum Surfen sind). Die örtlichen Surfschulen sagen uns, dass am anderen Ende der Bucht im Örtchen die Bedingungen Ritoque vermutlich besser sind. Dies bestätigt sich am nächsten Tag, als wir in der Bucht von Playa Ritoque ankommen, der beim ersten Betreten zu Anne’s Wohlfühloase wird. Playa Ritoque ist 3 km vom Ortsteil Ritoque entfernt, der wiederum zum Städtchen Quintero gehört. Am Playa gibt es ein Restaurant, sowie eine Bar mit Restaurantbetrieb und angeschlossener Surfschule, die auch Zimmer vermieten. Hier sieht alles selbstgebaut aus, ist toll dekoriert und perfekt gelegen. Anne will hier bleiben, schließlich wollen wir in Chile Urlaub vom Reisen machen. Der Plan geht hier aber zunächst nicht auf, denn obwohl wir in die offenen Gefilde der Surfschule eintreten und uns umsehen, können wir auch nach mehrfachem Rufen niemanden finden. Es gibt keine E-Mail-Adresse und keine Telefonnummer vom Besitzer Dani, der auf der Website eines Hostels in Ritoque angegeben wird, als Kontakt, sollte man Unterkunft suchen, solange das Hostel geschlossen ist (was jetzt der Fall ist – die Saison ist zu Ende). Nach 2 Stunden warten und vergeblichem hoffen, dass jemand auftaucht, hinterlassen wir eine Nachricht und unsere Kontaktdaten und ziehen zunaechst weiter nach Norden, nach Maitencillo.

Hier erwartet uns ein Ort voller Cabañas (Bungalows) mit Strandsicht, 4 Surfschulen (was für uns immer wichtig ist, damit wir Bretter und Wetsusits leihen können) und close out Wellen an einem malerischen Beachbreak (in diesem Fall: eine Bucht ohne Felsen). Es ist früher Abend als wir ankommen und wir entscheiden uns fürs bleiben. Die erste Cabaña soll pro Nacht 50.000 Pesos kosten (mehr als 80,- Euro), das sprengt alles finanzierbare. Dann wird uns von einem einheimischen Surfer eine Cabaña in den Hügel von Maitencillo angeboten für 20.000 Pesos. Die ist so abgerockt, dass es eine Frechheit ist, dafür überhaupt Geld zu verlangen und wir gehen quasi rückwärts wieder raus. Schließlich landen wir in einer Cabaña mit Wohnzimmer und super Meerblick durch zwei Seiten Glasfront, einer Miniterrasse, einem tiefer gelegenem uneinsehbaren Schlafzimmer und Duschbad. Weil es außerhalb der Saison ist, können wir dieses kleine Paradies für 25.000 Pesos (41,- Eur) die Nacht buchen. Es ist zwar direkt an der Hauptstraße von Maitencillo gelegen und unser Blick aufs Meer schweift also zunächst über Asphalt, aber da das hier ein Dörfchen ist und Tempo 30 Zone, ist der Verkehr nicht störend. Der Preis ist schon heftig (zumal wir kein Internet hier haben), aber günstiger kriegen wir es sicher nicht, wenn wir es auch noch schön haben wollen. Jeder Mensch, mit dem wir sprechen sagt uns, wie ruhig und sicher Maitencillo ist – daran würden wir bei dem Anblick des Dorfes auch nicht zweifeln. Hier wohnt offensichtlich Geld, wenn man sich die Häuser und Autos mal so anschaut…

Leider wird der Surf auch in den nächsten Tagen nicht besser, klein und closeout. Die dazu kommenden teuren Ausleihkosten von 15.000 Pesos (ca. 25,- Euro) für halbtags Brett und Neoprenanzug halten nicht nur Anne sondern auch Veit davon ab, sich in die Wellen zu stürzen. Also machen wir Strandspaziergänge, lesen und kochen lecker und schauen uns die schönen Sonnenuntergänge im Meer an. Nichtstuer-Urlaub. Die ersten Tage sind wir so ziemlich die einzigen Touristen hier, am Wochenende wird der Ort auf einmal voll. Ab Montag ist hier Semana Santa („Heilige Woche“) -also die Osterwoche, die in Lateinamerika ja mehr Bedeutung hat als Weihnachten.

Heilig ist hier scheinbar nichts, wie wir feststellen, als wir nach einem maximal anderthalbstündigen Sonntagsnachmittagsspaziergang zurück in unsere Cabaña kommen. Wir sind bestohlen worden. Jemand hat das auf dem Gelände des Wohnhauses der Besitzer liegende Schlafzimmerfenster aufgebrochen und alles geklaut, was irgendwie Wert hatte: Veits iPhone (das er sonst eigentlich immer dabei hatte), unser Laptop (mit allen Fotos und Videos der letzten 5 Monate), seine GoPro Kamera, seine Oakleysonnenbrille und alles Bargeld, was wir hatten. Und davon hatten wir ausnahmsweise viel, da wir, bevor wir herkamen, nicht wussten, ob es in diesen Käffern Geldautomaten gibt. So’ne Riesensch…! Und dabei hatten wir doch alles abgeschlossen und verdunkelt und gut verstaut, damit es eben nicht alles offensichtlich und von außen einsehbar herumlag. Immerhin sind unsere Geldkarten noch da…Nach all den Monaten in billigen Unterkünften und potentiell gefährlichen Ländern sind uns Vorsichtsmaßnahmen in Fleisch und Blut übergegangen und dann passiert uns sowas ausgerechnet in Chile in wohlsituierter, gut bürgerlicher Umgebung, im westlichsten aller Länder ganz Lateinamerikas. Am helllichten Tag, 2m neben dem Hauseingang der Besitzer. Wir sind zunächst fassungslos, sagen den Besitzern Bescheid und lassen die Polizei rufen, die nach 2 Stunden eintrifft. Das sei in diesem Bungalow noch nie passiert, sagen die Besitzer Max und Claudia. In Maitencillo komme das schon häufig vor, aber in dieser Cabaña noch nie. Das hilft uns jetzt auch nicht mehr. Der Einbrecher hat nen ganzen Handballenabdruck an der Fensterscheibe hinterlassen – der Polizei ist’s Wurscht. Der Polizist, der das Protokoll aufnimmt, hat das Niveau eines Grundschülers und braucht geschlagene 60 Minuten, um aus Annes Kauderwelschspanisch ca. 10 Sätze zu formulieren, die das Geschehene sowie die Art und den Wert der gestohlenen Gegenstände wiedergeben. Allein das Abschreiben von Annes Namen aus ihrem Reisepass stellt eine intellektuelle Höchstleistung für den jungen Mann dar. Dass er mit seinem Tempo den Einsatz zu einer Messerstecherei um 20 Minuten verzögert, erfahren wir am nächsten Tag, als wir die Papiere im Kommissariat abholen wollen… Als nächstes müssen wir zu einer Behörde namens „Fiscalia“, die sich um Fälle von Einbruchdiebstahl und Familienkriminalität kümmert, um die Polizei zu entlasten. Die befindet sich in Quintero und unser Bungalowbesitzer Max fährt uns da freundlicherweise hin.

Auf der Fahrt stellt sich heraus, dass er gut mit dem Vater von Dani befreundet ist, demjenigen, in dessen Strandunterkunft in Playa Ritoque wir so gern geblieben wären. Da selbstverständlich die Fiscalia noch nicht mit unserem Fall durch ist und entsprechende Protokolle fehlen (die die Polizei von Maitencillo direkt dahin geschickt hatte, sodass wir also noch keine Papiere in der Hand haben), fahren wir in dieser Hinsicht unverrichteter wieder weg. Aber durch Max Verbindung zu Dani lässt sich herausfinden, dass im Strandhaus in Ritoque Kapazität ist. Also fährt Max uns hin, wir quatschen mit Danis Freundin Sharon und vereinbaren unseren Einzug am nächsten Tag bis über die Osterfeiertage. Bei allem Ärgernis über den Einbruchdiebstahl kommt am Ende etwas Gutes heraus: wir landen an dem Ort, wo wir sein wollten. Der Preis, den wir dafür zahlen müssen (der Diebstahl des Besitzes und des Vertrauens, sowie der angeknackste Stolz) ist allerdings zu hoch, liebes Universum!

Zurück in Maitencillo basteln wir einen Flyer an Max‘ Computer. Der bescheuerte Dieb hatte bei seinem Einbruch in unsere Cabaña sein auffälliges Badehandtuch bei uns im Bett liegen lassen. Das fotografierten wir und bastelten eine A4 Seite mit der Überschrift „Raub“, im der wir die Bevölkerung um Hinweise auf den Täter bzw. Unsere Sachen baten. Kann ja sein, dass jemand weiß, wem dieses auffällige Handtuch gehört. Den Flyer verteilen wir im ganzen Ort und erregen damit Aufmerksamkeit. Nach diesem letzten Akt von Aktivismus sind wir der Situation endgültig ausgeliefert und finden kaum Wege, unsere Wut über den Verlust und die Machtlosigkeit auszudrücken.

Die nächsten Tage in Playa Ritoque nutzen wir dazu, unsere Wunden zu lecken. Nichtstun, spazierengehen, lesen und: ein bisschen surfen – denn endlich gibt es surfbare Wellen! Das balsamiert unsere Seelen etwas. Die Unterkunft hat zwar kein Internet, aber ein Panaromafenster aufs Meer und eine Riesenbadewanne mit eben diesem Blick. Das haben wir uns verdient :-). Eine richtige Küche hat unser romantischer Wohnverschlag nicht, aber wir kriegen einen Sandwichmaker, einen Wasserkocher und haben einen Kühlschrank. Damit improvisieren wir unsere Mahlzeiten für die nächsten Tage.

Am Karfreitag gehen wir nach Quintero ins Internetcafé, um unseren nächsten Reiseschritt (Neuseeland) etwas vorzubereiten und die Geräte auf allen möglichen Kanälen als gestohlen zu melden. Dabei sehen wir eine eher lächerlich wirkende Osterprozession auf der Straße: etwa 20 als Römer verkleidete Menschen ziehen einen Holzwagen mit einem lebenden, an eine Holzkonstruktion gebundenen Jesus hinter sich her. Interessieren tut das keinen. Vielleicht ist Chile schon zu westlich für den ganz großen katholische Zauber.

Die letzten beiden Tage verbringen wir im Hostel Che Lagarto in Viña del Mar, lassen all unsere Wäsche mal waschen und gucken nach Preisen für Technik, die hier sehr viel günstiger ist als in Deutschland, aber es gibt keine Netbooks und auch kein iPhone 4 (das neuere Modell schon, aber das will Veit nicht). Als uns dann aus eine geschlossenen Plastiktüte im Kühlschrank des Hostel noch Bier und Wurst geklaut wird und wir am nächsten Tag das Gefühl haben, Bettwanzen aufgegabelt zu haben, die uns am ganzen Körper piesacken, haben wir wirklich die Schnauze von Lateinamerika voll und freuen uns riesig darauf, den Kontinent in Richtung Neuseeland zu verlassen.

Die Kommentare sind geschlossen.

Kategorien

Admin | Reiseblog anlegen | Plane Deine eigene Weltreise