7.03.2013

Anne in der Mitte

23.2.-4.3.

Córdoba steht nun auf dem Plan. Das ist die zweitgrößte Stadt Argentiniens und sein wissenschaftliches Zentrum. Seit jeher gibt es hier die besten Universitäten des Landes. Das macht die Millionenstadt zu einem pulsierenden Ort mit hunderttausenden Studenten – und plötzlich fühle ich mich alt, denn das Durchschnittsalter der Menschen auf der Straße liegt bei gefühlten 22 Jahren.
Mein erstes „Hostel Córdoba“ für 60,- Pesos die Nacht ist leider nur auf den ersten Blick schön, aber da habe ich schon bezahlt – und war bereits nach einer Nachtfahrt mehrere ausgebuchte bzw. zu teure Hostels angelaufen (immer schön mit dem schweren Rucksack, versteht sich). Das Zimmer stinkt, die Schließfächer klemmen, die Duschen sind unbelüftete Nasszellen über dem Klo… Nach der ersten Nacht wechsle ich ins Legrand Hostel, das für 60,- Pesos sogar ein typisch argentinisches Frühstück integriert hat: Brötchen mit sehr süßer Pfirsichmarmelade, Kaffee oder Tee. Hier ist es schön.

Córdoba als Stadt hat ein paar Sehenswürdigkeiten (u.a. ein Jesuitenviertel) und lebt eigentlich mehr von der jugendlichen Atmosphäre als von Ästhetik. Und somit gebe ich mich diesem Lebensgefühl hin und gehe jeden Abend aus. Am ersten Abend mit einer Französin, die ich im ersten Hostel kennengelernt hatte und durch die ich lerne, wie schwieirg es ist, wenn man die kleine Plastikkarte namens VISA verliert. Eine Lösung ist in Sicht, bis dahin helfe ich ihr beim Zeitvertreiben.
Sie hatte herausgefunden, dass jeden Samstag auf dem Hauptplatz öffentliches Tangotanzen stattfindet. Und tatsächlich. Es ist eine kleine Musikanlage aufgebaut und Groß und Klein, Jung und Alt tanzen Tango miteinander. Wie in einer Open Air Tango Disko. Das ist toll anzusehen. Es gibt scheinbar wirklich viele Menschen in Argentinien, die diese Tradition pflegen. Um die Veranstaltung wird kein großes Aufsehen gemacht. Es gibt keine Getränke, Snacks oder sonstige Kommerzialisierung, sondern einfach nur Tango.
Anschließend im Hostel lande ich mit dem deutschen Nachtwächter und seinem französischen Kumpel in einer abgefahrenen Verschwörungstheoriediskussion auf Spanisch (!) über die Weltherrschaft und bin froh, als ich mich ins Zimmer verziehen kann, ohne unhöflich zu sein…

Am nächsten Abend treffe ich mich mit einer Engländerin, mit der ich einen Schlafsaal („Dorm“ auf Neudeutsch) in Corrientes geteilt hatte und die mittlerweile in Córdoba in einer WG lebt und auf einen Job als Sprachlehrerin hofft. Gemeinsam mit ihr und zwei weiteren deutschen Bekannten schlendern wir über einen wirklich sehr schönen, großen, sonntags Abends stattfindenden Kunsthandwerksmarkt. Ach ja, hätte ich nur drei Wochen Urlaub, würde ich hier mal wieder schöne Dinge erstehen können…
Nach einem anschließenden Essen in nem Restaurant (hey, das fühlt sich fast an wie ein Mädelsabend!) gehen wir noch zu einem öffentlichen Salsatanzen. Und das flasht mich wirklich. Alter Schwede, die Tänzer/innen haben Gummi in den Knochen. Hier sind fast ausschließlich Könner am Werk, die meisten zwischen 18 und 25 Jahre alt. Die Clubszenen aus meinem herzallerliebsten Film „Dirty Dancing“ sind nur ein Vorgeschmack auf das, was ich hier sehe. Ich will das auch lernen oder vielmehr können … (also natürlich nicht an diesem Abend, hier und öffentlich, aber so generell, Zuhause dann…)

Am letzten Abend geht’s dann noch mal in ne Bar mit der Französin und am nächsten Morgen reise ich weiter nach San Marcos Sierras.

Dieser Hippie-Ort drei Stunden nördlich von Córdoba ist mir von einem Schweizer Pärchen empfohlen worden, das ich in Salta getroffen hatte. Hier gibt es genau das, was ich suche: nichts. Ich brauche gerade mal ein paar Tage ohne Input, einfach nur zum Entspannen, Lesen, Trödeln. Ohne Sight- bzw. Natureseeing-Druck. Das kann ich hier sehr gut. Das Dorf besteht ausschließlich aus staubigen Straßen ohne Asphalt, einem Hauptplatz mit ein paar Restaurants herum, die auch vegetarische Gerichte anbieten und weit verstreuten Häusern. Ach ja, nicht zu vergessen die Flüsse Rio San Marcos und Rio Quilpo, sowie die Gebirgskette (Sierra) am Ende des Dorfes.
Mein Hostal Giramundo ist gleichzeitig auch ein alternatives Kulturzentrum mit angeschlossenem „Campingplatz“ – Campen kann man hier überall, jede der vielen Unterkunftsmöglichkeiten hat Platz für Zelte. Die Besucher hier sind zumeist Menschen mit alternativen Lebensvorstellungen, die bei den Jüngeren im Jonglieren, Freundschaftsarmbänderverkauf und Musizieren als Einkommenserwerb münden.
Das Dorf hat Regeln: man grüßt sich, trennt Müll, ist nach 1:00 nachts nicht mehr laut, fährt nur mit max. 30 km/h durch den Ort, wirft nicht achtlos Müll weg und sammelt welchen auf, der von anderen liegen gelassen wurde. Es werden einem keine Plastiktüten im Supermarkt ausgehändigt, sondern alte Kartons, wenn man keinen eigenen Beutel dabei hat. Es gibt regionale Produkte und alles ist eben ein bisschen bewusster hier. Das gefällt mir ganz gut. Die vielen jungen Rastazopf- und bunte Schlabberhosenträger (männlich wie weiblich und zu fast 100% Argentinier) gehören klischeemäßig auch irgendwie dazu. Die ureigensten Einwohner des Dorfes bevor es Hippiegemeinde wurde, erscheinen mir hier typisch lateinamerikanisch: man kriegt als Teenager Kinder. Was soll man auch sonst so machen, mitten auf dem Land in einer Gauchokultur?

Ich nutze meine Zeit hier, um spazieren zu gehen, im Fluss Rio San Marcos zu baden, zu lesen und eine Fahrradtour zu machen. In meinem Hostel gibt es kein Internet, das ist ziemlich hilfreich zum Abschalten. Ich muss immer 15 Minuten zum Dorfplatz laufen, wenn ich online sein will, denn da gibt es kostenfreies Netz.

Und dann erfahre ich am eigenen Leib, wie das so ist, wenn man keine VISA-Karte mehr hat. Gesperrt wegen Betrugsversuch, am Freitag Nachmittag uff’m Dorf. Die nächste Bank in der nächsten Stadt hat erst nach dem Wochenende wieder auf. Die Zusendung einer neuen Karte dauert mindestens 10 Tage an eine von mir anzugebende Adresse. Ja, wo bin ich denn in 10 Tagen? Wann weiß ich auf dieser Reise jemals im Voraus, wo ich in 10 Tagen sein werde? (Das funktioniert ja unter Anstrengung und Einschränkungen noch mit Orten, aber bei ner konkreten Adresse in jenem Ort wird es schon schwierig…) Glücklicherweise habe ich ja noch ne MasterCard, die den Nachteil hat, Gebühren zu verlangen bei jeder Abhebung… Mal sehen, ob ich mit der gesperrten VISA und meinem Pass klassischerweise am Bankschalter Bargeld bekomme. Das habe ich noch nie gemacht. Generation Bankautomat…

Den Rio Quilpo sehe ich nicht, stattdessen habe ich das große Glück, von den vor einer Generation mal deutschstämmigen Bendingers (Oma, Opa, Tochter, Enkel) aufgegabelt zu werden bei meinen Versuch zum Fluss zu gelangen. Sie wollen mich nicht allein weiter durch die Pampa laufen lassen, also nehme ich ihr Angebot an und fahre mit ihnen in einer beängstigend rasanten Fahrt über Schotterstraßen und Sandwege zum Rio Pinto. (Ich schätze, der Fussweg zum Rio Quilpo wäre micht gefährlicher gewesen, als diese Autofahrt…) Der ist wunderbar idyllisch am Rande der Sierra gelegen. Außer uns ist hier niemand (mal abgesehen von den Paraglidern über uns). Ein toller Ort, an dem auch ein Winnetou-Film gedreht worden hätte können. Mit mir als Squaw in der Hauptrolle, versteht sich!
Ich bin mal wieder überwältigt von den Zufällen im Leben, die mich an diesen schönen Ort brachten, den ich allein nie gefunden hätte.

Nach 6 Tagen Ruhe fühle ich mich wieder bereit, ein weiteres Stück Argentinien zu entdecken und verlasse San Marcos Sierras in Richtung Mendoza, wo unerwarteter Weise Veit auch hinkommen wird, da Chile’s Küste ihm seinen tollen Surf einfach nicht zeigen will…

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