27.01.2013

Mi Peru

Mi Peru

In dem Land, in dem noch stärker als in allen vorher bereisten Ländern alles verniedlicht wird – so werden aus wildfremden Frauen jeden Alters „Mamitas“ (Mütterchen), eine Decke heißt nicht mehr „Manta“, sondern „Mantita“, jeder noch so Fremde ist per se erstmal „Amigo“ bzw. „Amiga“, der Kaffee ist ein „Cafecito“, Anne wird grundsätzlich zu „Anita“ und vieles wird im Namen zum Eigentum, wie z.B. „Mein Peru“, „Mein Laden“, „Mein Hostal“ …-  treffen wir uns in Huanchaco wieder, einem Fischerort sehr weit nördlich von Lima. Dieser ist auch bekannt für seine berühmten Totora-Boote, die auch Cabalitos genannt werden. Diese aus Schilfrohr gebauten Schiffchen werden in dieser Form seit über 2.000 Jahren von den Fischern verwendet. Man nimmt an, dass die Ureinwohner mit diesen bereits vor den Hawaiianern die Wellen runtergeritten sind. In Huanchaco wird an drei Spots gesurft (ner Linken, ner Rechten und ner Anfängerwelle), gebadet und das gute Wetter genossen. Dem Ort geht’s gut, wir haben den Eindruck, dass jeder hier ein gutes Auskommen hat. Viele Touristen sind Ausländer, aber auch viele Peruaner machen hier Urlaub. Das zu mietende Surfequipment ist allerdings eher ne Frechheit, aber bei den Mietpreisen ist uns klar, dass kein gutes Material angeschafft werden kann. Das Wasser hier ist kalt, aber die eigentliche Herausforderung ist der steinige Untergrund, der das Rein- und Rauskommen aus dem Wasser zu einer Tortur macht – und erklärt, weshalb die Surfboards hier unter notorischem Finnen-Mangel leiden.

Zwei Tage verbringen wir hier, dann geht’s weiter. Cusco ist das Ziel, doch nachdem wir die Fahrtzeit von 36 Stunden in Erfahrung gebracht haben, entscheiden wir uns für eine Zwischenetappe. Nazca heißt nun also die nächste Destination. Erst mit dem Nachtbus der Firma TRC nach Lima. Der Bus ist der Hammer, die Sitze sind bequemer als der heimische Ledersessel, es gibt WLAN an Bord und das Unterhaltungsprogramm besteht in einem anspruchsvollen, sozialkritischen Film über den bolivianischen Wasserkrieg aus dem Jahr 2000 („Und dann der Regen“ bzw. „Y tambien la lluvia“). In Lima erhalten wir mit der Busgesellschaft Cruz del Sur einen reibungslosen Anschluss nach Nazca, wo wir nach insgesamt 16 Stunden Fahrt ankommen. Unser Hostel „Acueduct“ (35,- Sol im DZ mit Privatbad, Warmwasser und WiFi) ist halbwegs schnell gefunden. Hier gibt es ein großes Angebot an Unterkünften und überall gibt es Kapazitäten. Die Fahrt von Lima hierher führte uns lange an der Küste entlang, immer durch die Steinwüste. Hin und wieder mal eine Oase, an der sich Dörfer und Felder befinden. Je näher wir Nazca kommen, desto hügeliger wird es. Steinberge ohne jedes Grün. Eine Mondlandschaft, die bereits an der ecuadorianischen Küste begonnen hat und sich endlos Richtung Süden zieht. Beeindruckend, karg, beängstigend. Selbstverständlich sehen wir immer wieder Stellen, an denen sinnlos Plastikmüll abgeladen wurde, vorzugsweise an Flussläufen, da kann man den Müll so schön den Abhang runterwerfen.

Wir schauen uns die Nazca-Linien an, riesige geoglyphische Formationen, die vor Jahrhunderten von den Ureinwohnern der Gegend in die Wüste eingraviert wurden. Die Linien sind teilweise mehrere Kilometer lang und bilden z.B. Affen, Spinnen oder stellare Gebilde ab. Das erstaunliche ist, dass viele Formen in ihrer Gesamtheit nur aus der Luft zu erkennen sind. Wie also konnten die Ureinwohner so präzise Formen zeichnen (darüber  klärt uns das Museum der hier verehrten deutschen Wissenschaftlerin Dr. Maria Reiche-Neumann auf)? Einen Rundflug über die Linien (85,- USD p.P.) leisten wir uns nicht, sondern nutzen eine Aussichtsplattform, von der man immerhin zwei der zig Linienbilder sehen kann. Wie überall kann man hier noch viel mehr entdecken und unternehmen, u.a. Sandboarden auf den höchsten Dünen der Welt (ca. 2000 m), aber um alles zu machen, fehlt uns die Zeit und das Geld.

Weiter geht’s nach Cusco, wieder 14 Stunden Busfahrt, über Nacht. Auf 3.350 m geht uns mal wieder die Luft aus, die Stadt raubt uns aber nicht nur wegen der Höhe den Atem. Eine Kolonialstadt, die sich von den bisher gesehenen deutlich unterscheidet. Die Bauweise hier oben in den Anden besteht aus Lehmsteinen, alle Dächer sind mit rötlichen Dachziegeln gedeckt. An den Häusern der Altstadt befinden sich die originalen, verschnörkelten Holzbalkone aus dem 16.Jh. Alle Kirchen sind ebenfalls aus dunklem Stein gebaut, mitunter auf den Ruinen von Inkabauten, die die Eroberer zerstört haben, um mit dem Baumaterial ihre eigenen Gebäude zu schaffen.

Die Berge um die Stadt herum sind erstaunlich sanft. Romantisch-hügelig sieht’s hier aus.

In der Altstadt jagt ein Hostal das nächste, ein Restaurant befindet sich neben dem anderen, ein Touranbieter übertrifft den nächsten, alle verkaufen und vermieten Campingausrüstungen und Touren zu dem zahlreichen Inkastätten in der Gegend.

Hier in Cusco beginnt der Inka-Trail, ein 4-tägiger Wanderweg zum Machu Picchu. Für viele Reisende ist das Laufen des Trails ein besonderes Highlight – wir sind beide keine Wandervögel und besuchen den Machu Picchu mit dem Zug.

Unsere Herberge in Cusco heißt Resbalosa (40,- Sol im DZ mit Warmwassergemeinschaftsbad und WiFi) und hat einen wunderschönen Blick über die Altstadt und den Plaza de Armas. Diesen Blick müssen wir uns aber auch erarbeiten, denn es führen nur Treppen zur Herberge, was uns jedes Mal keuchen lässt.

Wir haben das Glück, an einem Straßenfest im Stadtteil San Sebastian teilnehmen zu dürfen. Es ist ein bisschen wie der Karneval der Kulturen in Berlin. Nur, dass man hier ausschließlich die eigene Folklore zelebriert – mit Tänzen und Kostümen, die bis in die Inkazeit zurückzureichen scheinen, mit gebratenen Meerschweinchen, gefüllten Kartoffeln, Mais und Bier. Wir sind weit und breit die einzigen Touristen und staunen über die Lebensfreude hier so sehr, wie einige Einheimische über uns staunen.

Machu Picchu wird zu einer sehr teuren Erfahrung, denn allein die Eintrittsgelder von 128,- Sol p.P. (knapp 40,- EUR) sind gepfeffert. Die Fahrt dahin mit dem Zug (von Ollantaytambo aus, wo man auch wiederum mit einem lokalen Bus hinfahren muss) kostet nochmal mehr als 80,- EUR p.P. Und dann ist man erst im Dorf Aguas Calientes, von dem man dann nochmal einen Bus (für 14,- EUR p.P.) nehmen kann, um die letzten 400 Höhenmeter zu überwinden. Wir laufen (ein bisschen wandern muss schon sein, wir wollen uns ja schließlich nicht Bequemlichkeit vorwerfen lassen J) 1,5 Stunden ab 6:30 morgens. Und haben uns den Besuch damit redlich verdient. Machu Picchu ist riesig und unterscheidet sich total von allen anderen Ruinen, die wir bisher besucht haben (klar, das waren ja zumeist auch Maya-Ruinen und nicht Inka). Wir schließen uns der ein oder anderen geführten Gruppe auf dem Gelände an, um die Erklärungen der Führer mitzubekommen. So sind wir mal spanisch, mal englisch, mal französisch und sogar mal deutsch informiert. Wir verbringen den ganzen Tag auf dem Machu Picchu und sind nach 7 Stunden durchlaufen so kaputt, dass wir doch den teuren Bus zurück ins Tal nehmen. Die Natur um uns herum ist dramatisch. Obwohl wir hier nur auf 2.450 m sind, sind die Berge sehr viel schroffer und spitzer als in Cusco. Unten im Tal (Aguas Calientes) töst ein reißender, rot-brauner Fluss (leider ist auch der stellenweise mit Plastikabfall zugemüllt). Aguas Calientes existiert ausschließlich vom Tourismus, die Restaurants verlangen teuer Geld für ihr Angebot, Hostelzimmer sind teurer als in Cusco. Wenn man von der Bahn kommt, muss man durch einen Handwerksmarkt, der an einen marokkanischen Shuk erinnert.

Die Bahntickets muss man unbedingt im Voraus kaufen (mind. 1 Tag in der Nebensaison) und erhält sie – genau wie die Eintrittskarten – nur gegen Vorlage des Reisepasses.

So ist es übrigens auch mit sämtlichen Bustickets: in Peru muss man immer den Pass (oder eine Kopie) vorlegen, sonst kriegt man hier gar nichts. Wir können unsere Passnummern mittlerweile auswendig 🙂

Es bleiben uns noch 4 Tage, bis zu unserem Weiterflug von Lima nach Argentinien. Arequipa und Titicaca-See stehen noch auf Anne’s Wunschliste (mal abgesehen davon, dass man auch locker noch mehrere Tage rund um Cusco verbringen könnte, wenn man das nötige Kleingeld und eine Sauerstoffarmutstoleranz mitbringt, woran es bei uns scheitern würde).

Das würde bedeuten, sich noch weiter von Lima zu entfernen. Schon jetzt beträgt die Rückfahrtzeit in die Hauptstadt 22 Stunden. Uff, Anne ist der vielen Fahrerei müde und Veit zieht es sowieso an die Küste, daher entscheiden wir uns für eine Fahrt nach Puerto Viejo. Das liegt zwar an der Panamericana, etwas südlich von Lima, ist aber nur ein kleiner Ort, der von den Buslinien nicht direkt angefahren wird. Daher kann uns keiner Auskunft geben, wie wir es am besten anstellen, dahin zu gelangen. Also versuchen wir es mit unserem logischen Verständnis und haben Glück. Bis Ica fahren wir wie so oft mit Movil Tours, mehr als 16 Stunden über Nacht. Dann noch mal 4,5 Stunden mit Soyuz nach Puerto Viejo. Letztere Buslinie hat ganz einfache Busse und stoppt in jeder Milchkanne auf der Panamericana. Leider vergisst die Busbegleiterin, uns Bescheid zu sagen, also müssen wir wieder ein Stück der Strecke zurückfahren, als wir es merken. In Puerto Viejo erwartet uns gähnende Leere an einem langen, 40m breiten Sandstrand. Eigentlich ein Traum, aber zu einsam für Anne, die die Welle sowieso nicht surfen kann, weil sie zu hoch ist. Also ziehen wir weiter nach El Silencio. Mittlerweile ist es kurz vor 18:00 Uhr und wir müssen eine Bleibe für die Nacht finden. Die erste will 120,- Sol (3x soviel wie in Cusco) für ein fragwürdiges DZ. Leider ist die Auswahl alles andere als groß und so enden wir für 50,- Sol in einem „Einzelzimmer“ (das Bett werden wir uns teilen), das mit neuen Saunawänden in eine Garage hinein gezimmert wurde. Sowas wie ein Bad (keine Klobrille, kein Duschkopf, keine Duschvorhang, kaputte Spülung) gibt’s bei der Vermieterfamilie nebenan in deren Privaträumen, die erschreckend spärlich und unaufgeräumt sind und im krassen Widerspruch zu dem teuren, fast neuen Geländewagen stehen, der der Familie gehört. Internet gibt’s nicht. Wir haben keine Wahl. Eine Nacht geht es, vor allem auch mit Hilfe des Kakerlakentötungssprays und unseres schützenden Moskitonetzes.

Am nächsten Morgen fahren wir in den nächsten Ort, der heißt Punta Hermosa (so heißt eigentlich auch ein ganzer Küstenabschnitt). Die Surfcamps, die wir online ausfindig gemacht hatten, kennt keiner. Nicht mal die vielen Sicherheitsleute, die die Siedlung bewachen, in die wir gelaufen sind. Als wir suchend und Leute fragend an der Straße stehen, hält der Bürgermeister des Ortes neben uns und bringt uns mit seinem fetten Privatwagen zu der Adresse, zu der wir müssen. Guillermo heißt er mit Vornamen und wir sollen uns jederzeit gern an ihn wenden, wenn wir ein Problem haben. ( Er spricht astreines Englisch.) Die Jungs vom „Bravo Surf Hostel“ staunen nicht schlecht, dass ihre neuen Gäste vom Bürgermeister höchstpersönlich vorgefahren werden 🙂 Und so bekommen wir ein schönes, großes Zimmer mit Balkon und eigenem Warmwasserbad für 70,- Sol. Das ist für diese Gegend vergleichsweise günstig und wir sind total happy.

Lima zu besichtigen, lassen wir aus. Es könnte ja sein, dass wir mal zurückkommen nach Peru, da brauchen wir ja auch noch was zu tun 🙂

 

So, jetzt ist dieser Bericht fast fertig, da kommen wir mit noch ner Geschichte um die Ecke. Auf der fast aussichtslosen Suche nach passenden Surfbedingungen sahen wir beim Starren auf’s Meer DELFINE! Der Fluch ist gebannt, Anne sieht zum ersten Mal in ihrem Leben Delfine im Wasser. Ohne Tour, ungeplant. 4 Stück zählen wir, einer springt sogar kurz aus dem Wasser, während wir von den anderen die Rückenflossen immer wieder auftauchen sehen. Wow, groß wirken die Tiere aus der Ferne, wie sie da so die Küste entlang Richtung Süden ziehen. Das ist mehr als nur eine Entschädigung für die für Anne im ganzen Land unpassenden Surfbedingungen… Für Veit ist es noch eine Zugabe zum tollen Surf in Peru.

 

Fazit:

Peru ist irre groß und vielfältig. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und freundlich. Es ist ein sehr sicheres Reiseland mit sehr gutem Infrastrukturnetz. Anders als in Mittelamerika wird man hier nicht von Busgehilfen bestürzt, wenn man einen Bus sucht. Das ist sehr angenehm, auch wenn diese Busgehilfen wie überall anders auch am Hetzsyndrom leiden, wenn man sich erstmal für ihren Bus entschieden hat. („Einsteigen, einsteigen, einsteigen“ und „aussteigen, aussteigen, aussteigen“ befehlen sie einem immer so, als würde von jeder Sekunde Verzögerung das Leben eines Menschen abhängen.) Kinderarbeit gibt es auch in Peru (genauso wie in allen anderen bisher bereisten Ländern), besonders beim Verkauf von Lebensmitteln und als Busgehilfen.

Es gibt unglaublich viele Kulturgüter zu entdecken, alles kann man sich meist zeitlich und/oder finanziell gar nicht anschauen.

Die Küche überrascht mit total leckeren Gerichten, besonders von Fisch- bzw. Meeresfrüchtegerichten sowie von Backwaren sind wir regelmäßig begeistert. Und der Surf ist Weltklasse.

Peru ist definitiv eine Reise wert. Aber, liebe Peruaner (und dies sagen wir nicht nur euch, sondern auch allen vorher besuchten Ländern, wohlwissend, dass auch wir noch weit davon entfernt sind, Umweltengel zu sein), tut etwas für eure Umwelt! Sie ist es wert. Wo sollen denn sonst eure vielen Kinder und deren in der Anzahl noch mal potenzierten Kinder leben, wenn nicht in einem funktionierenden Ökosystem?Und ihr könntet an sauberen Stränden liegen und das Wasser sauberer Flüsse trinken, euch damit erfrischen, euch darin baden. Wenn ihr keine Brühe mehr verursacht, wird’s nicht nur für die Touristen, sondern vor allem für euch selbst noch schöner hier.

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