17.01.2013

Anne: 147 Stunden

9.-15.01.2013

Ich will in den Dschungel. Einmal im Amazonasbecken sein, exotische Tiere sehen, vielleicht sogar indigene Stämme, die noch ursprünglich leben, Riesenbäume, Farne. Das ist mein Wunsch. In Ecuador hat das zeitmäßig nicht geklappt, in Peru nehme ich es in Angriff. Veit bleibt derweil an der Küste, da gibt es ne ganze Menge Wellen, die ihn deutlich mehr reizen als der Dschungel.

Aus Máncora wollen wir noch gemeinsam abfahren, nach Chiclayo, wo wir beide umsteigen müssen. Allerdings kann mir niemand sagen, wie die Anschlussverbindungen nach Chachapoya oder Tarapoto sind, von wo aus ich weiter Richtung Osten muss. In Chachapoya könnte ich noch eine Inca-Stätte besuchen. Mal sehen, was die Zeit sagt. Wir haben uns einen Fischer-Streik-Tag ausgesucht zum Reisen. Die Busse kommen von Norden nicht bis nach Máncora, um weiter Richtung Süden zu fahren, weil die Straße blockiert ist. Wann da wieder was geht? Keiner weiß es, aber irgendwann im Verlaufe des Tages wird die Straße schon wieder frei sein. Wir entschließen uns, den Nachtbus zu nehmen, der mit einer halben Stunde Verspätung auch eintrifft. Um 6:30 Uhr morgens kommen wir in Chiclayo an. Hier gibt es kein zentrales Busterminal, sondern jede Kompagnie hat ihren eigenen Terminal. Erst fahren wir zu meinem Anschlussterminal. Der Bus nach Chachapoya fährt abends um 21:00, der nach Tarapoto abends um 18:30 (14 Stunden Fahrt). Uff, also Chachapoya fällt aus, denn von da müsste ich ebenfalls weiter nach Tarapoto. 12 Stunden sinnloser Aufenthalt in einer sehr umspannenden Stadt, von deren einziger, aber tatsächlich sehenswerter Attraktion ich aufgrund meines 10 Jahre alten Reiseführers und der geschlossenen Touriinfo nichts weiß. Wie schön, dass sich gerade jetzt ne fette Erkältung bei mir entwickelt und ich sowieso zu nichts weiter in der Lage bin, als irgendwo abzuhängen. Ich bringe Veit noch zu seinem Terminal. Der Versuch zu frühstücken, scheitert an der sehr eintönigen Auswahl aller Läden in der Nähe der Terminals, die alle auf derselben Straße liegen: Truthahn, Milchkalb, geröstete Schweinehaut. Jeweils auf Brötchen mit nem Kaffee dazu. Hm, ich hab ja eh keinen Hunger…

Ich muss ja gestehen, dass ich schon etwas Schiss vor meiner eigenen Courage habe. Schlangen, Vogelspinnen, Malaria-Moskitos (ist ja gerade Regenzeit hier)… bäh. Aber irgendetwas zieht mich in den Dschungel. Ich las vorher Berichte von Touren: a) Indigenas -Tour, bei der man ein Getränk aus durchgekauter, gegorener Yucawurzel bekommt (durchgekaut von einer Indigena, nicht etwa von einem selbst), dass man aus Gründen des Respekts nicht ablehnen darf und b) einer eher tierlastigen Tour mit Krokodilen, Piranhas, rosa Delfinen (ich wusste vorher gar nicht, dass so etwas existiert), Papageien… Ich würde vermutlich Variante b) wählen…

Nachdem Veit in seinem Bus Richtung Surferglück sitzt, gehe ich in ein Café und schlage mir Stunde um Stunde um die Ohren und schniefe vor mich hin (meinem Schnupfen geht’s super, der erfreut sich heller Lebensfreude). Das führe ich dann am Terminal von Movil Tours weiter und bin erleichtert, endlich irgendwann mit Rotz und Husten im Bus zu sitzen, der von einer Stewardess in Highheels bedient wird, in denen ich nicht mal auf unwackeligem, ebenen Boden stehen könnte… Wir bekommen zu essen (Hühnchen, was sonst? Aber immerhin kann ich etwas Salat und Früchte picken), sehen Man on Fire mit englischen Untertiteln extra für mich (ich bin die einzige Touristin an Bord) und fahren schaukelige 14 Stunden die Anden hoch und dann wieder einen Ganzteil runter. Ich mache die Augen nur einmal auf und sehe, dass wir gerade ein Flussbett durchqueren! Die links und rechts befindlichen Brücken sind wohl nicht befahrbar. Ich werde die Augen für den Rest der Fahrt lieber geschlossen halten…

Müde nach 2 Tagen Nomadenleben lasse ich mich in Tarapoto zur „Empressa San Martín“ fahren, die eine Art Sammeltaxiservice nach Yurimaguas anbieten. Yurimaguas ist der letzte Ort mit Straßenzugang, bevor man sich wohl nur noch mit Booten bewegen kann. Ich sitze mit 4 (!) weiteren Passagieren in einem PKW und komme nach 3,5 weiteren Stunden rasanter Serpentinenfahrt in Yurimaguas an, in denen der Fahrer erzählt, dass auf dieser Strecke häufig Autos überfallen werden. Letzte Woche erst wieder. Die Polizei schaut zu und lacht sich einen. Deshalb gibt’s eine private Miliz, die die Strecke „überwacht“. Von denen werden wir angehalten und um Geld gebeten, da sie durch niemanden bezahlt werden. Der Typ mit der Uzi lacht mich breit und stolz an. Ich kann mich nicht so richtig an die Präsenz Schwerbewaffneter gewöhnen…

Duschen und in einem Bett schlafen, sind meine Wünsche für heute. Ich werde zur Herberge El Yacuruna gebracht, wo ich für 15 Sol (5,- Eur) die Nacht ein Einzelzimmer mit Gemeinschaftsbad (kaltes Wasser) bekomme. Hier im Hostel gibt es auch gleich eine Reiseagentur für Dschungeltouren und nachdem ich mir alles erzählen lasse, buche ich, denn die Jungs und auch der Hotel-Opi wirken vertrauenswürdig auf mich. 2 Tage seien zu kurz, sagt man mir, die schöneren Sachen gibt es tiefer im Dschungel zu sehen. Ich will meine selbst auferlegte Konfrontationstherapie ja aber nicht gleich überreizen, mir reichen 2 Tage.

Yurimaguas ist unspektakulär, aber am nächsten morgen geht’s ja gleich weiter. Mit einer 10-stündigen Bootsfahrt den Fluss herunter.

Immer wieder bringt es mich aus der Fassung und stimmt mich fast hoffnungslos, wenn ich sehe, wie die Einheimischen in all den bisher bereisten Ländern mit ihrer Umwelt umgehen. Schlimm genug ist ja schon der exorbitante Gebrauch von Plastiktüten und Styroporgeschirr. Aber die Flüsse des Amazonas-Beckens sind nicht (nur) von der Erde so rot-braun. Angefangen vom Abwaschwasser der Herberge bis zum Styroporteller des Mittagessens auf dem Transportschiff namens „Romantico“, das mit mir etwa 50 Passagiere in den Dschungelort Lagunas bringt, landet alles im Fluss. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich könnte wirklich heulen bei soviel Ignoranz und Dummheit. Groß und Klein kennen nur diese Art der Entsorgung. Die Menschen scheinen eigentlich nicht ungebildet, denn viele lesen auf der Fahrt Zeitung und Bücher (ok, sie lesen ein Pendant zur BILD und Groschenromane, aber sie lesen). Umweltaspekte und der Erhalt seiner in dieser Gegend wichtigsten Einnahmequelle (Dschungeltourismus auch außerhalb des Naturschutzgebietes weiter innen im Dschungel) gehören ziemlich sicher nicht zum Lehrplan, geschweige denn zu journalistisch verwertbaren Themen in den Zeitungen. Dass es kein Bewusstsein für die Folgen der Vergiftung der Flüsse gibt, zeigt mir die Tatsache, dass sich die Reisenden nach dem Klogang auf dem Schiff hier oft das Gesicht „erfrischen“ – mit dem Wasser des Flusses (den sie vorher beschmutzt haben), dass durch ein Rohr nach oben gepumpt wird.

Die Indigenen dieser Region trinken dieses Wasser sogar – sie haben ja kein anderes.

Neben menschlichen Passagieren sind natürlich auch ein paar Tiere an Board. Hühner (in Kartons) und angeleinte Schweine.

In Lagunas soll ich vom Boot abgeholt werden. Der Typ (Juan von der Agentur Aguaje) kommt sehr spät (aber er kommt), und steckt mich in die nächste Hospedaje, einem einfachen Holzbau mit eher unschönen sanitären Anlagen, aber immerhin einem löchrigen Moskitonetz. Und dann will er Geld von mir. 200,- Sol, damit er die Unterkunft und meinen Guide und die Verpflegung zahlen kann. Das entspricht zwar dem Betrag, den ich noch zahlen muss, ist aber entgegen der Absprache mit El Yacuruna, mit denen ich vereinbart hatte, vor der Reise 300,- und nach der Reise 200,- Sol zu zahlen. Da ja alles inklusive sein sollte, habe ich nicht soviel Geld und keine Karte dabei (wozu braucht man schon ne Kreditkarte im Dschungel). Mein Rucksack steht in der Unterkunft in Yurimaguas, den hätte ich nicht mit auf die Tour nehmen können. Nach langem hin und her sagt Juan, dass er mit der Agentur telefonieren wird. Da ist es ca. 19:30. Um 22:30 habe ich immer noch keine Nachricht von Juan und beschließe, morgen mit meiner schlimmer werdenden Erkältung wieder nach Yurimaguas zu fahren. Ich gehe nicht davon aus, dass sich Juan oder sonst ein Guide noch sehen lässt, auch nicht, um mich wie vereinbart, am nächsten Tag um 7:30 abzuholen. Abendessen und Frühstück kriege ich nicht. Ein Glück habe ich eh keinen Hunger.

Am nächsten Morgen checke ich erneut auf dem Boot „Romantico“ ein. Diesmal wird die Fahrt 21 Stunden dauern – flussaufwärts. Ich lerne eine Frau namens Margarita kennen, die als Dschungel-Guide arbeitet und die mir sagt, dass man am besten in Yurimaguas gar nichts bucht, sondern direkt nach Lagunas fährt und sich dort diverse Anbieter anguckt. Dschungelagenturen gibt’s hier wie Sand am Meer und ich vermute, die sind günstiger, als in Yurimaguas. Es ist allerdings so, dass sich die Agenturen hier gegenseitig schlecht machen. Das baut auch nicht unbedingt Vertrauen auf. Von „Aguaje“ rate ich auf jeden Fall ab!

Gerädert erscheine ich um 5:00 morgens wieder in dem Hostel Yacuruna in Yurimaguas, wo der ältere Herr mich bereits erwartet. Hat sich wohl nicht erst durch Veit’s Suchanruf dort herumgesprochen, dass etwas schief gelaufen ist mit meiner Tour. (Veit hatte meinen letzten Nachrichten nicht bekommen, konnte mich per Handy nicht erreichen und wusste nun nicht, ob ich doch noch in den Dschungel gegangen bin oder auf dem Rückweg war.) Ich kann schnell unter die Dusche springen und stelle fest, dass ich aussehe, wie ein Streuselkuchen. Ich habe in den letzten 1,5 Tagen fast eine ganze Flasche Tropenmückenspray verbraucht, gebracht hat das offenbar nichts. Ebensowenig wie das langärmlige Shirt, dass ich auf dem Boot die ganze Zeit trug. Gestochen wurde ich von 3mm großen Biestern, die man erst wahrnimmt, wenn es schon zu spät ist. Die sieht und hört man nicht fliegen.

Der Typ, der mir die Tour verkauft hatte, wurde angerufen und erzählte mir, dass Juan die Anzahlung sehr wohl erhalten hatte und alle Ausgaben hätte begleichen können. Juan hatte ihm nun aber wiederum erzählt, dass ich mir einen anderen Guide genommen hätte. Mir ist eigentlich egal, womit die sich den ganzen Tag gegenseitig die Hucke volllügen, ich will nur mein Geld zurück. Ich bin seit mittlerweile 5 Tagen unterwegs, ohne jemals angekommen zu sein. Ich bin krank, erschöpft und habe keine Kraft mehr, mich in die verquere Funktionsweise dieser Agenturstruktur einzudenken.

Ich nehme mein Geld, packe meine Sachen und lasse mich zu „San Martín“ fahren, wo ich 30 Minuten später im Auto nach Tarapoto sitze. Mein Sitzen wird im Verlaufe der Kurvenfahrt eher zum Wie-ein-Schluck-Wasser-in-der-Kurve-Hängen, denn mein leerer Magen hat diese ständigen Kurven langsam satt. Landschaftlich ist die Fahrt allerdings wunderschön. Andenurwald. Die Dörfer hier erinnern mich an die Karibik, eine ähnlich Bauweise aus Holz und leider auch genauso arm. Erstaunlicherweise sind hier überall Volleyballnetze gespannt und ich sehe viele Mädchen spielen! In Tarapoto schlage ich mir wiederum 6 Stunden sinnlose Wartezeit um die Ohren. Wenn ich fit wäre, könnte ich einen Ausflug in die schöne Umgebung machen, aber ich bin nicht fit. Und es regnet. Jetzt, wo ich endlich an einem Ort bin, an dem ich sogar ein vegetarisches Restaurant (!) finde, kriege ich keinen vernünftigen Bissen durch den Hals. Die nächste Fahrtetappe nach Chiclayo dauert wieder 14 Stunden und dann bin ich immer noch nicht angekommen. Eigentlich muss ich nach Trujillo, doch der Bus dahin ist ausgebucht. Also erst Chiclayo und von dort weiter. Das macht zeitlich kaum einen Unterschied. Ich sichere mir meine Ruhe im Bus durch die Ansage an meinen zu einem langen Monolog ausholenden Sitznachbarn, dass ich sehr schlecht spanisch verstehe. Das wirkt und spiegelt mein momentanes Sprachgefühl ziemlich gut wieder. Wenigstens bekomme ich diesmal vegetarisches Essen im Bus. Yippie! Und nen Kamillentee, da geht’s mir am Morgen von Tag 6 doch gleich etwas besser, als wir in Chiclayo ankommen. Dort kriege ich direkt einen Anschlussbus der Firma Linea nach Trujillo. (Leider mit einem kaputten Lautsprecher, der die 4-stündige Fahrt über mir schnarrt beim Wiedergeben des Films.

Nach 147 Stunden permanentem Unterwegssein komme ich um 13:30 völlig erschöpft in unserem Hostel „my friend“ in Huanchaco an, das für die nächsten Tage unser Ziel sein soll. Ich hatte mir für die letzten 12 Kilometer von Trujillo aus ein Taxi gegönnt. Mann, was für eine Tortur!

Ziel dieser Reise war sicher nicht das eigentliche Ziel, sondern der Weg (ist ja sonst eher nicht so mein Ding…). (Und die zum x-ten Mal wiederholte Feststellung, dass ich irgendwie keine Delfine sehen soll. Ich versuche das seit vielen Jahren, geklappt hat es noch nie – egal wo ich wann war.)

Ich lerne die Peruaner aber als äußerst redseliges Volk kennen, denn ich werde oft angesprochen und in ein nicht enden wollendes Gespräch verwickelt, was mit meinen limitierten Spanischkenntnissen mitunter anstrengend ist. Die Natur, die ich unterwegs sehe, ist total schön. Saftig und grün ziehen sich die Ausläufer der Anden dahin. Links und rechts neben den Flüssen im Amazonasbecken wachsen viele Pflanzen, wobei es hier auch einige Plantagen mit Bananen und Palmen gibt (die Coca-Plantagen bleiben mir verborgen :-)). Die Dörfer sind total ärmlich, oft ohne Strom und ganz klein.

An der Küste hingegen ist die Landschaft sandig und karg, Steppe. Die Siedlungen sind viel größer, hier gibt es nur Steinhäuser, aber ärmlich sieht’s hier auch aus. Als Müllkippen dienen hier oft die Straßenränder. Angebaut wird unglaublich viel Reis hier.

Jetzt brauche ich erst mal ein paar Tage Regeneration, bevor wir uns auf die nächsten 1000 km nach Cusco machen…

Die Kommentare sind geschlossen.

Kategorien

Admin | Reiseblog anlegen | Plane Deine eigene Weltreise