8.12.2012

Nicaragua ist in Afrika

Die Geschichte beginnt Mitte der 80er, als Klein-Anne die sozialistische Schulbank drückt und das erste Mal vom Bruderstaat Nicaragua hört. Das ist gaaaaanz weit weg. Dort gibt es Bananen, es ist sehr warm und die Menschen sind dunkelhäutig. Arm sind sie da, da soll man mal dran denken, wenn man sein Essen nicht mag: die armen Kinder in Nicaragua würden es mit Vorliebe essen. Und der Präsident Daniel Ortega ist ein guter Mann, der das Land in den sozialistischen Wohlstand führt. Das blieb in Klein-Annes Kopf hängen und aufgrund dieser Attribute kam es irgendwie zur geografischen Verankerung auf dem afrikanischen Kontinent. Die Jahre vergingen und ohne weiter drüber nachzudenken, wurde auch Anne irgendwann klar, dass Nicaragua in Mittelamerika liegt.

Und hier sind wir nun, fahren mit dem Tica-Bus (der interzentralamerikanischen Buslinie) von San Salvador nach Managua, der Hauptstadt, die in unserem Reiseführer spannend beschrieben ist. Ist sie aber nicht! Da wir mit Einbruch der Dunkelheit ankommen, verbringen wir die erste Nacht in der erstbesten Herberge (Casa Blanca) in Nähe der Tica-Busstation. Die Unterkunft entpuppt sich als Absteige und ist angsteinflößend: nachdem ein Gorilla im Muskelshirt die 20 Dollar für die Nacht von uns kassiert, wird fortan nicht mehr mit uns geredet, schon gar nicht mit Anne. Die hatte nämlich den Kapitalfehler gemacht und in einem der ersten Sätze Widerworte benutzt und damit den chauvinistischen, auf den Boden spuckenden, etwa 65-jährigen Herbergsvater offenbar zutiefst beleidigt. In der zweiten Nacht schlafen wir folgerichtig im Hostal Los Felipes, das ist besser. Aber eigentlich hätten wir uns eine weitere Nacht sparen können, denn die wenigen Attraktionen der Stadt lohnen den Besuch nicht. Der alte Stadtkern ist unspektakulär und die 6.000 Jahre alten Fußspuren von Ureinwohnern im Lavastein sehen aus, als wären sie gestern in Beton gegossen worden. Sie liegen in einem Stadtviertel, durch das man sich als Tourist besser nicht zu Fuß bewegt (was dazu führt, dass uns der „Wachmann“ der Sehenswürdigkeit zur nächsten Hauptstraße begleitet, von wo wir ein Taxi nehmen können). Am ersten Abend wird Veit von Prostituierten begrabbelt, als er sich mal 20 Meter von unserer Unterkunft entfernt. Selbst die Einheimischen raten davon ab, sich ohne Taxi in der Stadt zu bewegen. Also nix wie weg hier.

Wie wir feststellen, sind die Hauptstädte dieses Kontinents nicht unser Ding. Auch das von zuvor als Zwischenstation genutzte San Salvador ist keine Perle der urbanen Kultur, es besteht fast ausschließlich aus amerikanischen Fast Food Ketten und Stau, nach Sonnenuntergang setzt man am besten den Fuß nicht mehr vor die Tür (zudem hat das Restaurant, in dem wir dort aßen, gar nichts fleischfreies, was durch ein Missverständnis zwischen Anne und der Kellnerin dazu führte, dass sie zwei Portionen gebackene Bananen vorgesetzt bekam, die sie aus Hunger auch verspeiste – und seitdem den Appetit auf Bananen total verloren hat).

Von Managua geht es per Bus acht Stunden quer durchs Land nach El Rama, das im Dschungel kurz vor der Karibikküste gelegen ist. Die Vegetation im Umfeld erinnert mitunter an afrikanische Steppen z.B. durch Bäume mit breiter, windschiefer Krone. Aber auch die vielen Bretter- und Wellblechbuden, die den Menschen als Zuhause dienen, sind nochmal ärmer als in anderen Ländern, die wir gesehen haben. El Rama dient uns lediglich als Umsteigestation: vom Bus geht es auf ein Panga (ein kleines Boot für 20 Passagiere), das uns nach Bluefields bringen soll. Hierhin gibt es keine Straßen, der Ort liegt hinter dem Dschungel an einem verzweigten Flussdelta vor der Karibikküste. Morgens fährt ein Boot nach Fahrplan, das aber erst dann wirklich ablegt, bis es mit 20 Passagieren voll besetzt ist. Wenn dies am selben Tag nicht der Fall ist, muss man halt bis zum nächsten Tag warten. Wir haben Glück, nach 1,5 Stunden Wartezeit ist das Boot voll und bringt uns in weiteren 1,5 holprigen Stunden nach Bluefields. Die dort lebende karibische Bevölkerung ist vorrangig schwarz und spricht irgendetwas zwischen englisch und spanisch, gemischt mit Miskito, der indigenen Sprache, das sich für uns manchmal anhört wie – naja, eine afrikanische Sprache.

Bluefields – benannt nach einem holländischen Piraten, denn das war hier alles mal Piratenhochburg – empfängt uns nicht sonderlich freundlich. Mal abgesehen vom schlechten Wetter sind auch die Menschen eher muffelig, ebenso wie die Herbergen, denen die immer feuchte Luft hier nicht so bekommt. Am schockierendsten ist aber das Schildkrötengericht auf der Karte eines Restaurants, dessen Besitzer gleichzeitig auch unser Taxifahrer ist. Immerhin gibt es hier gutes Bier: Victoria, das hatten wir in Managua nicht gesehen. In Nicaragua gibt es 3 große Alkoholmarken: Toña und Victoria (beides Bier), sowie den Rum Flor den Caña. Alle gehören übrigens demselben Besitzer.

Am nächsten Morgen fahren wir über den Wasserweg von Bluefields nach Laguna de las Perlas. Leider regnet es immer noch. Und das Panga hat kein Dach. Stattdessen bekommen wir eine Plastikplane übergelegt, die im 80 km/h Fahrtwind einen Mörderlärm macht und uns permanent auf den Kopf knallt. Unsere Unterkunft im Laguna (Green Lodge, 16 USD) ist sehr hübsch und wird von einer Mama betrieben, wie sie nicht besser im Bilderbuch stehen könnte. Das ganze Örtchen ist in einem abgerockten Südstaatenstil gebaut. Es tönt Reggae-Musik von vielen Seiten und die Menschen hier sind erstaunlich freundlich. Wir fühlen uns das erste Mal in Nicaragua willkommen.

Unser Besuch eines indigenen Miskito-Dorfes 30 Minuten fußläufig ist dann wieder ein wenig bedrückend. Reymond, Fischer und selbsternannter Touristenführer der Gemeinde, gabelt uns auf und nimmt uns mit zu seiner Familie, die samt Großmutter und Schwester mit insgesamt 10 Personen in einer Holzhütte auf 30 qm lebt. Er erzählt uns von der Geschichte der Miskitos und ihren Schwierigkeiten, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden (auch hier haben es die Indigenen wie überall in Zentralamerika schwer). Dennoch lobt er Daniel Ortega (der gerade wieder regiert, nachdem er Anfang der 90er abgesägt wurde, dann von seiner Stieftochter des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, um dann 2007 und 2011 wiedergewählt zu werden). So sorgte Ortegas Regierung dafür, dass der Zugang zu Bildung erleichtert wird und die Bevölkerung ein kostenloses Grund-Gesundheitssystem erhält. Daher hat Raymond die Hoffnung, dass seine Kinder und die Miskitos die neuen Chancen nutzen und dass sie es einmal besser haben als seine Generation.

Ursprünglich hatte uns Raymond allerdings damit geködert, dass er seine Informationen und touristische Begleitung völlig kostenfrei anbietet. Natürlich bat er am Ende trotzdem um etwas Geld. Wir geben ihm etwas, natürlich. Wie kann man auch nicht, angesichts der Armut, in der die Menschen hier leben?

Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Panga zurück nach Bluefields, um dort in eine große Fähre umzusteigen, die uns nach Corn Island bringen soll. Die Fahrt übers offene Meer dauert 5,5 quälende Stunden. Es regnet, die See ist unruhig. Im Passagierraum des Schiffes fangen die Menschen irgendwann an, sich zu übergeben (auf den Boden im Innenraum versteht sich, denn Kotztüten sind schließlich überbewertet). Bevor uns der Gestank uns übermannt, stürmen wir raus und lassen uns lieber vom Regen, der ja immerhin warm ist, durchweichen, als den beißenden Geruch länger zu ertragen. Leider etwas zu spät, einer von uns hängt dann doch noch über der Rehling. Zurück nehmen wir den Flieger, soviel steht fest.

Big Corn Island ist leider eher eine Enttäuschung. Abgewrackt, verregnet, teuer und – das fanden wir in Nicaragua übrigens generell – sehr verschmutzt. Die Leute haben überhaupt keinen Sinn für Umweltschutz. Wir sehen Hotelangestellte (!), die ihre Plastiktüten voller Müll in das türkise Meer werfen. Da versteht man die Welt nicht mehr. Es gibt einige schöne Sandstrände – wenn man den Plastikmüll am Rand mal ausblendet – und wenn mal die Sonne scheint (wir hatten wirklich Pech, es regnete ziemlich viel), ist das Meer auch wie auf der Ansichtspostkarte.

Immerhin sind unsere Herbergseltern sehr nett (G&G, 15 Dollar pro Zimmer). Aus dem angeschlossenen Restaurant gegenüber schallt uns den ganzen Tag abwechselnd Reggae und Country-Musik entgegen („God bless America“). Kurioserweise ist Countrymusik hier echt groß auf der Insel, wir freuen uns jedes Mal auf die Wechsel zu Reggae… Das Essen auf der Insel ist auch ok, die karibischen Gerichte mit Kokoscreme sind echt lecker. Es gibt nicht immer alles, was auf der Karte steht, vor allem Milch ist Mangelware im ganzen Land. Der Kaffee (Nicaragua ist auch ein großer Kaffeeproduzent) ist löslich, Orangensaft schmeckt nur entfernt nach Orangen, getrunken werden hier hauptsächlich zuckersüße Wassersäfte.

Auch auf Corn Island wird uns von diversen Personen Hilfe in jedweder Lebenslage angeboten – weil jeder dafür bezahlt werden möchte. Natürlich ist es verständlich, dass die Menschen hier Geld benötigen, aber immer nur auf seinen vermeintlichen Wohlstand reduziert zu werden, nervt gewaltig und fördert nicht gerade den interessierten und offenen Umgang mit den Menschen. Auf freundliche Selbstlosigkeit sind wir hier nur selten gestoßen.

Unser erhoffter bequemer Rückflug ist ein Abenteuer für sich. Statt mit dem normalen Flieger abzuheben (eine mittelgroße, 50 Passagiere fassende Propellermaschine), müssen wir in einer kleinen Cessna für maximal 12 Passagiere Platz nehmen. Veit fühlt sich wie „Bernhard und Bianca auf dem Albatross Orville“, Anne fühlt sich nach Schreien und Weglaufen und krallt sich während des 1,5 stündigen Fluges panisch an Veits Hose fest.

Zurück in Managua denken wir „nix wie weg hier“ und steigen sofort in den Bus nach Granada, wo wir nach etwa zwei weiteren Stunden ankommen. Granada ist eine sehr hübsche Kolonialstadt am Lago de Nicaragua, der mit mehr als 8.000 qm einer der größten Seen Lateinamerikas ist (und leider total verseucht, es gibt kaum noch Fische und die ursprünglich hier anzufindenden Schildkröten findet man nur noch ausgestopft um Museum, ebenso wie die Bullenhaie, die hier im Süßwasser gelebt haben). Wir bleiben zwei Nächte und machen einen Ausflug zu den See-Inselchen, die vor der Küste Granadas liegen. Diese entstanden bei einem Vulkanausbruch vor etwa 2.000 Jahren, bei dem die Spitze des Vulkanes abgesprengt wurde. Die 365 Inseln sind meistens nur so groß, dass 1 bis 2 Häuser drauf passen. Einige davon sind in Privatbesitz mit teuren Villen (zum Beispiel die des o.g. Bier- und Rumherstellerbesitzers), andere sind unbewohnt, wiederum andere von Indigenen bevölkert. Unsere Ausflugsagentur wird von Leo betrieben (Leo Tours), der auf den Inseln geboren und aufgewachsen ist und mit seinem Unternehmen als erster dieser Inselbewohner überhaupt studiert hat und mit seinem Gewinn die Gemeinde unterstützt. Leo’s Reiseleiter sind allesamt indigen, sehr jung und mit wirklich viel Herzblut bei der Sache. Das macht Spaß und ist schön zu sehen, dass sich manche Menschen auch selbst aus der totalen Hoffnungslosigkeit befreien können.

Von Granada aus geht’s nach San Juan del Sur, wo wir zwei Tage lang surfen gehen bei kleinen aber schönen Wellen, die sowohl Veit als auch Anne begeistern. Wir haben Glück, nicht von Stachelrochen gestochen zu werden, die hier die Uferregionen bevölkern – einige unser Mitsurfenden haben weniger Glück und zeigen uns ihre großen Stiche. Uns erwischen nur die Quallen – das ist nervig genug. San Juan del Sur ist hübsch. Ziemlich auf Surfer und Rucksacktouristen ausgerichtet, ordentlich und sauber. Auch die Strände sind nicht verschmutzt. Das ist eine Wohltat für die Augen. Im Moment sind auch nicht so viele Touristen da, sodass wir uns wohl fühlen in dem Mix aus Einheimischen und Touris. Wir übernachten günstig in der Posada Puesta del Sol (12 USD für ein DZ mit geteiltem Bad sowie Wifi). Das sind drei Gästezimmer einer Familie, durch deren Wohnzimmer und Küche man geht, wenn man in sein Zimmer will. Neben den ganzen Hostels gibt es hier auch viele solcher Herbergen. Den Familien scheint es halbwegs gut zu gehen, hier sehen wir keine Bretterbuden oder Blechhütten.

Das ist ein schöner Abschluss für ein Land, dem wir zwiespältig gegenüberstehen. Die sehenswerten Dinge hier sind ganz nett, hauen uns aber nicht um. Die Mentalität empfinden wir als schwierig, die Armut schwer erträglich, der Dreck furchtbar und die Preise mitunter unverschämt (gemessen an zentralamerikanischen Verhältnissen).

Das Land bleibt uns fremd. Und könnte auch in Afrika liegen.

Nun machen wir uns auf nach Panama!

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